Welche Brennweite hat das menschliche Auge?

In Workshops wird mir immer wieder die Frage nach der richtigen Brennweite für Portraits bzw. der natürlichen Brennweite gestellt. In diesem Beitrag greife ich das interessante Thema des „natürlichen Bildlooks“ auf und teile die mir bekannten Fakten zum Vergleich des menschlichen Auges mit der Fotografie.

Eins vorab: Ich bin kein Naturwissenschaftler, sondern ich habe hier lediglich meine Erkenntnisse aus diversen Quellen zusammengetragen und vereinfacht dargestellt. Die Quellenangaben findest Du am Ende dieses Beitrages. Wenn Du Physiker oder Biologe bist, Fotografie studiert hast oder durch Deine eigenen Erfahrungen etwas zum Thema beitragen kannst, dann schreibe gerne einen Kommentar und teile Dein Wissen mit mir und allen anderen Lesern dieses Beitrages. Ich würde mich sehr freuen …

Foto: Adobe Stock

Aufbau des menschlichen Auges im Vergleich zur Optik einer Kamera

Die Linse

Das menschliche Auge besteht aus Muskeln, Fasern, Häuten, Nerven und Blutgefäßen. Dabei bilden die Hornhaut, die Augenflüssigkeit, die Augenlinse und der Glaskörper ein Linsensystem, durch das Bilder von Objekten auf die Netzhaut projiziert und im Gehirn verarbeitet werden. Das Linsensystem des Auges wirkt dabei wie eine Sammellinse. Mit Hilfe der Muskeln (den sogenannten Ciliarmuskeln), an denen die Augenlinse aufgehängt ist, können wir die Krümmung der Augenlinse verändern und damit Objekte in unterschiedlichen Entfernungen fokussieren, sodass auf der Netzhaut ein scharfes Bild entsteht.

Querschnitt des menschlichen Auges | Foto: Adobe Stock

Diese Sammellinse im menschlichen Auge hat in etwa eine Brennweite von 20 mm. Einen optischen Zoom gibt es leider nicht. Auch wenn wir uns auf ein weiter entferntes Objekt konzentrieren und dadurch den Eindruck haben, das Objekt näher heranzuholen, also quasi „zu zoomen“, ist dieser Effekt höchstens mit einem digitalen Zoom zu vergleichen, da die „Vergrößerung“ im Gehirn stattfindet und nicht auf der Netzhaut.

Übertragen auf die Fotografie entspricht ein Objektiv mit 50 mm-Festbrennweite an einer Kamera mit Vollformat-Sensor in etwa der Sehgewohnheit unseres Auges – daher wird hier auch häufig von Normalbrennweite gesprochen. Bei Kameras mit kleineren Sensoren muss der jeweilige Crop-Faktor berücksichtigt und ein Objektiv mit entsprechend kleinerer Brennweite gewählt werden. Bei Canon DSLR-Kameras beispielsweise beträgt der Crop-Faktor 1,6 – womit also ein 30 mm-Objektiv (gerundet) für einen vergleichbaren Seheindruck zu wählen wäre.

Die Blende

Die Iris des menschlichen Auges wirkt zusammen mit der Pupille wie eine Blende. Das Auge kann damit die Menge des auf die Netzhaut fallenden Lichtes steuern. Bei großer Helligkeit ist die Pupille klein, bei kleiner Helligkeit groß. Die Blende hat neben der Belichtung auch Einfluss auf die Schärfentiefe.

Wenn man den maximalen Pupillendurchmesser des menschlichen Auges von 6 – 8 mm heranzieht, kommt man rechnerisch auf eine Blendezahl von f/5,6 bis f/8.

{\displaystyle k={\frac {f}{D}}}

; mit Brennweite f und Durchmesser der Aperatur (Pupille) D

Der Sensor

In der Netzhaut (engl. „Retina“) befinden sich lichtempfindlichen Zellen, die sogenannten Stäbchen und Zäpfchen, welche ständig Informationen über den Sehnerv an das Gehirn übertragen, wo dann ein zusammenhängendes Bild entsteht. Es gibt etwa 120 Millionen hell-dunkel-empfindliche Stäbchen und etwa 6 Millionen farbempfindlich Zäpfchen. Die Netzhaut ist in unserem Vergleich also sozusagen der Kamerasensor, der seine Daten an den Prozessor weiterleitet. 120 Millionen Stäbchen nehmen die Helligkeit wahr und 6 Millionen Zäpfchen erkennen Farben.

Die Netzhaut (engl. „Retina“) | Foto: Adobe Stock

Auf Basis der Anzahl an Stäbchen auf der Netzhaut ergibt sich ein zwar rechnerisches Auflösungsvermögen der Netzhaut von 22 Megapixel, unsere reale Auflösung beträgt aber nur 8 – 12 Megapixel – durch optische Limitierungen unserer Pupille und Datenverlust auf dem Weg zum Gehirn.

Der Dynamikumfang

Auch wenn das menschliche Auge in puncto Dynamikumfang von Katzen- oder Eulen-Augen um einiges übertroffen wird, sind wir mit unseren Augen in der Lage vom Sternenlicht am Nachthimmel bis hin zu Objekten in der prallen Sonne Strukturen und Details zu erkennen.

Unser Auge kann einen Dynamikumfang (auch „Kontrastumfang“ genannt) von circa 20 Blendenstufen sehen. Das liegt insbesondere an dem Zusammenspiel der Pupille mit unserem Gehirn, das sowohl in sehr dunkler als auch in sehr heller Umgebung Details aus den von der Netzhaut gelieferten Bildinformationen erkennt. Bei sehr hellen Lichtverhältnissen blendet die Pupille ab und wird ganz klein. So sehen wir selbst bei praller Sonne trotzdem noch Zeichnung und Details auf hellen Oberflächen, ohne das diese „ausbrennen“. Dagegen vergrößert sich die Pupille bei sehr dunklen Lichtverhältnissen automatisch und schon sehen wir wieder alle Details und Strukturen. Das Gehirn errechnet sozusagen automatisch ein HDR-Bild (High Dynamic Range-Image) in unserem Kopf.

Eine Digitalkamera kann im Vergleich dazu im RAW Format eine Aufnahme mit circa 12 Blendenstufen und im komprimierten JPEG-Format mit aufgerundet 9 Blendenstufen aufnehmen. Der Dynamikumfang von Kameras der neuesten Generation, wie die der Sony Alpha 7 R iii, liegt nach Herstellerangaben bei 15 Blendenstufen.

Die Fokusart

Unsere Augen fokussieren kontinuierlich auf das Objekt oder die Situation, welches wir gerade ansehen oder auf das wir uns konzentrieren. Der Fokus wird selbst bei beweglichen Objekten (beispielsweise ein Auto, welches auf Dich zufährt) kontinuierlich angepasst, damit Du das Objekt jederzeit scharf siehst.

Das menschliche Auge verhält sich wie der kontinuierliche Autofokus in modernen Kameras | Foto: Adobe Stock

Übertragen auf die Fotografie entspricht diese Funktion dem in modernen Kameras integrierten kontinuierlichen Autofokus.

Deine Kameraeinstellungen für einen natürlichen Bildlook

Welche Einstellungen an Deiner Kamera sorgen für mit dem natürlichen Seheindruck vergleichbaren Bildlook? | Foto: Adobe Stock

Aus dem Vergleich des menschlichen Auges mit der Fotografie ergeben sich folgende Einstellungen, die Du an Deiner Kamera einstellen kannst, damit der Bildlook Deines Fotos dem natürlichen Seheindruck am ehesten entspricht:

Brennweite: 50 mm (bei Vollformat, bei kleineren Sensoren Crop-Faktor berücksichtigen)

Blende: f/5,6 bis f/8

Fokus: AF-C (Sony, Nikon etc.) bzw. AI-Servo (Canon)

Dateiformat: RAW und nutze HDR

Sensorgröße: 8 bis 12 Megapixel

Quellenangaben

Fotografie
Menschliches Auge
Beiträge zum Thema im Netz

5 Gedanken zu „Welche Brennweite hat das menschliche Auge?

  1. Meine Beobachtung bzw. Unterhaltung mit anderen hat dazu geführt, dass ich den Eindruck habe, Männer haben 50mm und Frauen 35mm Brennweite, also eigentlich bezogen auf den wahrgenommenen Bildwinkel.
    Das entspräche rund 64 bzw. 43Grad. Ganz so präzise wird man das in der Praxis nicht feststellen können, aber so ungefähr könnte es passen.

  2. „entspricht ein Objektiv mit 50 mm-Festbrennweite an einer Kamera mit Vollformat-Sensor in etwa der Sehgewohnheit unseres Auges“ So habe ich das auch gelernt.

    „Bei Kameras mit kleineren Sensoren muss der jeweilige Crop-Faktor berücksichtigt . . . werden.“ Das ist leider ein weit verbreiteter Irrglaube. Das würde ja bedeuten, dass man sich bei einem crop-Sensor die Brennweite von 50mm zerschießt (also auf ca. 30mm herabsetzt), nur um den gleichen Bildausschnitt wie bei einem Vollformat-Sensor zu erreichen. Das heißt, der Bildauschnitt hat bei dir eine höhere Priorität als die Brennweite (die sich entsprechend anpasst), obwohl du die Brennweite ermitteln willst, die der menschlichen Wahrnehmung entspricht. Du würdest dann bei gleichem Bildausschnitt ein Bild mit 30mm und eins mit 50mm Brennweite bekommen. du hast bei 50mm mehr Tiefenkompression und weniger Verzerrung, also deutlich andere Qualitäten. 50mm entsprechen den menschlichen Sehgewohnheiten unabhängig von Sensorgröße. Auch bei einem crop-Sensor bleibt der Wert bei 50mm.

    1. Das stimmt so nicht: bei 50mm KB sieht der Bildbetrachter die Winkel auf dem Bild identisch zu jenen, wie sie in Natur wahrgenommen wurden, wenn das Bild ungefähr in der Distanz ‚Bilddiagonale‘ angeschaut wird. Will man nun mit einem APS-C-Sensor ein äquivalentes Bild machen (identischer Bildwinkel), so muss ein Objektiv mit Brennweite 50mm/Crop her, also etwa 33mm. Auch die Blende ist /Crop zu rechnen, ISO etwa /Crop^2 … dann werden Bilder erzeugt, die kaum voneinander zu unterscheiden sind.

      Was konstant bleibt, sind Verschlusszeit, Gegenstandsweite und Eintrittspupille …

      So ist Bildwinkel, Schärfentiefe, Beugung, Verwackelung, Bewegungsunschärfe und ca. Rauschen vergleichbar.

      Schaue einmal unter ‚Äquivalenz‘ für die Fotografie nach. Da wirst Du fündig.

      Vielleicht verstehe ich Dich auch falsch … dann bin ich neugierig auf Antworten … 🤗❣️

      Liebe Grüße – Martin

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